26.02.25

Bettina Wegner

 Vor einiger Zeit hab ich ein Lied gesucht, das so vieles ausdrückt: 

Titel Kinder

Sind so kleine Hände
Winz′ge Finger dran
Darf man nie drauf schlagen
Die zerbrechen dann

Sind so kleine Füße
Mit so kleinen Zeh'n
Darf man nie drauf treten
Könn′ sie sonst nicht geh'n

Sind so kleine Ohren
Scharf und ihr erlaubt
Darf man nie zerbrüllen
Werden davon taub

Sind so schöne Münder
Sprechen alles aus
Darf man nie verbieten
Kommt sonst nichts mehr raus

Sind so klare Augen
Die noch alles seh'n
Darf man nie verbinden
Könn′ sie nichts versteh′n

Sind so kleine Seelen
Offen und ganz frei
Darf man niemals quälen
Geh'n kaputt dabei

Ist so ′n kleines Rückgrat
Sieht man fast noch nicht
Darf man niemals beugen
Weil es sonst zerbricht

Grade, klare Menschen
Wär'n ein schönes Ziel
Leute ohne Rückgrat
Hab′n wir schon zu viel

Das Lied wurde schon von Joan Baez gesungen und ist entstanden ca.1976

Die Autorin und Interpretin ist aber Bettina Wegner ! (Jahrgang 47 und noch lebendig)

1978

2022
Ihr Leben und ihre Kunst sind stark verbunden mit der Geschichte der DDR. In Deutschlandfunk Kultur hat sie 2022 davon einiges erzählt und auch beim Kanal MISS-VERSTEHEN SIE MICH RICHTIG gibt es ein Gespräch mit über eineinhalb Stunden ...

2022 hat sie das Lied Kinder nochmal gesungen:

In einem Dokumentarfilm , der bei der 72.Berlinale 2022 gezeigt wurde, werden die 10 Gebote der Bettina Wegner aufgezeigt (und das mit 700 Euro Rente ...) :

aufrecht stehn, wenn andere sitzen


Wind zu sein, wenn andre schwitzen


lauter schrein, wenn andre schweigen


beim Versteckspiel sich zu zeigen


nie als andrer zu erscheinen


bei Verletzung nicht mehr weinen


Hoffnung haben beim Ertrinken


nicht im Wohlstand zu versinken


einen Feind zum Feinde machen


Solidarität mit Schwachen


Und ich hab sie nie gebrochen bis auf ein Gebot

Bei Verletzung wein ich manchmal, was ich mir verbot.

Das Lied Gebote hier / Das Büchlein Gebote hier




03.02.25

Miosga / Weidel

 Gestern hab ich mir die Sendung mit Caren Miosga angesehen: 

Was für ein Deutschland wollen Sie, Frau Weidel?

Bei t-online oder Stuttgarter Zeitung kann man Zusammenfassungen der wichtigsten Punkte nachlesen.


Mich hat im Nachhinein die Gesprächsführung interessiert. Zweimal kam von Weigel gegenüber Miosga der geäußerte Vorwurf rüber: "Sie framen mich" 
Dazu habe ich bei GEO dann einen aufschlussreichen Artikel gefunden:

Framing: Wenn das eigene Denken durch gezielte Kommunikation fremdbestimmt wird

Wenn ich dann mir das Ganze weiter überlege, scheint es aber so zu sein, dass eher der immer wieder von AFD Seite geäußerte Vorwurf besteht, dass allein die Fragestellungen der (linken, kritischen) Medien das Publikum so weit manipuliert, dass die AFD als rechtsradikal wahrgenommen werden soll.

Sie stellen sich als bürgerliche und demokratische Partei dar. Und das sind sie in großen Teilen auch: Demokratisch gewählt und orientiert an kulturellen Werten des "Normalen". Was immer wieder geleugnet wird ist, dass ein nicht unerheblicher Teil der Mitglieder und auch Amtsinhaber radikal nationalistische, völkische, rassistische und faschistische Anwandlungen haben. 

Und Dr. Alice Weidel bedient hier in ihren Äußerungen alle Lager der Partei. Meinungsfreiheit wird immer wieder hervorgehoben ...

In meinen Recherchen über ihr Kommunikationsverhalten (auch während der Sendung) bin ich dann auf einen interessanten Artikel bei Zeit-online gestoßen:
Alice Weidel war Gast in der Talkshow von Caren Miosga. Kondensiert sah man, welche Rollen die AfD-Kanzlerkandidatin öffentlich darbietet. Ein rhetorisches Lehrstück

Um den Artikel überhaupt lesen zu können, hab ich erst mal ein kurzfristiges Abo abgeschlossen. Ich fand dann den Artikel so gut, dass ich hier jetzt einfach mal zeige:

Sie probiert die Staatsschauspielerin


Alice Weidel war Gast in der Talkshow von Caren Miosga. Kondensiert sah man, welche Rollen die AfD-Kanzlerkandidatin öffentlich darbietet. Ein rhetorisches Lehrstück


Auch wer sich wünscht, sie wäre unsichtbar, einfach nicht da: In diesen Tagen führt kein Weg an Alice Weidel vorbei. Am Sonntagabend war sie zu Gast in der ARD-Talkshow von Caren Miosga, und jeder Zuschauer konnte sehen: Die AfD-Spitzenkandidatin hat ihre Selbstinszenierung weiterentwickelt, sie beherrschte zwischenzeitlich das Gespräch, sie hat Momentum. Es ist also höchste Zeit, sich ihre rhetorischen Muster und Tricks noch einmal genauer anzuschauen.

Decoding Weidel, darum geht es.

Die Themen des Abends bei Caren Miosga: die vergangene Woche im Bundestag, Weidels Geschichtsbild, die Wirtschafts-, die Energie- und die Außenpolitik. Weidel sagte über die Zustimmung der AfD zu dem Entschließungsantrag und dem Gesetzentwurf der Union zur Migrationspolitik im Parlament wenige Tage später nun bei Miosga unter anderem: "Die Stimmen der AfD gestalten dieses Land." Aber ein echter Wechsel sei nur mit ihrer Partei möglich, auf die Union "kein Verlass".

Darüber hinaus hat Weidel an diesem Abend im Großen und Ganzen das gesagt, was Zuhörer und Zuhörerinnen vom aktuellen AfD-Parteitag im Januar oder aus früheren Interviews mit ihr kennen. Aber wie sie es gesagt hat, das war in der ersten Hälfte der Sendung überraschend, auch weitgehend ungesehen, manche würden sagen: unerhört. Und in der zweiten Hälfte waren einige rhetorische Muster zu beobachten, die Weidel seit Langem zu einer so schwierigen Gesprächspartnerin für Journalistinnen und Journalisten machen.


Ein für sie neuer Gestus

Weidel zeigte sich zunächst in ihrer neuesten Rolle: in der der Staatsschauspielerin. Diese hat sie besonders prominent am vorangegangenen Mittwoch im Bundestag vorgeführt, als es um den Entschließungsantrag der Union ging, dem die Stimmen der AfD-Fraktion schließlich zur Mehrheit verhalfen. Weidel hat im Bundestag eine im Ton (aber wirklich nur im Ton) geradezu staatstragende Rede gehalten. Sie bemühte sich dabei sichtlich, an eine bundesrepublikanische Vorstellung davon anzuknüpfen, was eine Staatsschauspielerin ausmacht, was einen Politiker ausmacht, der den Staat repräsentieren könnte, mit dem sich Staat machen ließe. Kennzeichnend dafür ist eine emotionale Ausnüchterung, die sich als eine historische Entwicklung von Franz-Josef Strauß zu Angela Merkel, von Herbert Wehner zu Olaf Scholz beschreiben lässt: Im Gegensatz zu früheren Generationen treten Politikerinnen und Politiker von heute im Ton gemäßigter auf, als personifizierte politische Vernunft mit menschlichem Antlitz. Diesen für sie neuen Gestus hat Weidel am vergangenen Mittwoch im Bundestag vorgeführt – und in der Sendung von Caren Miosga zunächst nahtlos daran angeknüpft. Es gehe ihr "nicht um Parteien, sondern um das Land", sagte Weidel. Und: "Sobald die Politik für unser Land in die richtige Richtung weist, kann man sich auf uns verlassen."

Die AfD-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl am 23. Februar trat zuletzt zunehmend so auf, als könne sie morgen in eine Koalition eintreten, als würde sie sich den Konventionen des politischen Betriebs beugen. Weidel wirkt so wie eine Politikerin, die wegen ihrer politischen Überzeugungen angreifbar bleibt, aber kein Paria mehr der Form nach ist. Sie arbeitet rein äußerlich an ihrer und der Wählbarkeit der AfD. Inhaltlich kann Weidel diese Rolle jedoch nicht allzu lange durchhalten, will sie offenbar auch nicht.


Sie sprach bei Miosga verächtlich über den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk ("Er ist links, und dementsprechend sagt das doch eigentlich alles") und nannte ihre politischen Gegner vor ein paar Tagen im Bundestag "extremistische Fanatiker der schrankenlosen Migration" und "Industriezerstörer". Zwischendurch beleidigte sie den Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, noch als "infantil".


Weidel verrutschten sowohl im Bundestag wie bei Miosga auch ein paar Mikrogesten, sie überzog bei den pathetischen Pausen und nutzte abgegriffene Aufzählungen ("jeden Tag, jede Woche, jeden Monat", sagte sie bei ihrer Bundestagsrede). Sie zwang ihr Kinn seltsam weit nach unten, wenn sie Gravitas herstellen wollte. Mit Mühe unterdrückte sie hier und da ein siegesgewisses Lächeln. Aber viel, das gehört zur Wahrheit, viel fehlte nicht zu einer in der Form ziemlich gelungenen Inszenierung als Staatsschauspielerin.


Im aktuellen Wahlkampf wirkt Alice Weidel noch aus einem anderen Grund stärker als zuvor. Bevor Fragen zur Migrationspolitik ins Zentrum der politischen Debatten rückten, lief der Wahlkampf auf einen über die Wirtschafts- und Finanzpolitik hinaus. Weidel fühlt sich in diesen Themen augenscheinlich wohl und referiert gern in flüssigem Unternehmerberaterinnen-Jargon ("kameralistische Haushaltsführung", "Cashflow", "impliziten Staatsschulden", Verpflichtungen "abgezinst in die Gegenwart"). Ihre jüngsten Interviews in ARD und ZDF waren in dieser Hinsicht schon bemerkenswert: Weidel in den tagesthemen mit Jessy Wellmer, in den heute-Nachrichten mit Christian Sievers und in der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger.


Aber bei Miosga setzte Weidel noch eins drauf und antwortet auf die Frage, warum sie zur D-Mark zurückwolle, in perfektem Wirtschaftskauderwelsch: "Der Euro wird nicht Bestand haben. Er ist aufgespannt über mehrere Volkswirtschaften und eine hochinflationäre Währung, weil wir eine gigantische Bilanzausweitung der EZB (Europäische Zentralbank, Anmerkung des Autors) haben, und was wir in den Targetsalden drinhaben, das ist unser Wohlstand, der verloren geht." Alles klar?


Weidel versucht gar nicht, diese Begriffe für das Publikum zu übersetzen, sondern setzt den Jargon ein, um Journalisten, die sie interviewen, dumm aussehen zu lassen. In der Sendung von Caren Miosga probierte sie es sogar gleich mit drei Gesprächspartnern, denn mit am Tisch saßen Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der Welt, und die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Hildegard Müller. Weidel: "Das versteht doch nicht jeder. Das ist auch völlig egal." Weidel inszeniert sich hier als Expertin, die in der längsten Wirtschaftskrise der vergangenen 20 Jahre in Deutschland über das nötige Wissen verfüge. Aber weiß sie wirklich, wovon sie spricht (siehe EZB)? Versteht sie die Konsequenzen ihrer Forderungen in aller Tiefe (zurück zur D-Mark)?


Bisher wurde Alice Weidel in keinem Fernsehinterview in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen so sehr herausgefordert, dass sie an ihre Grenzen gestoßen wäre, denn ARD und ZDF beschäftigen nur wenige Journalisten, die tiefe Kenntnis von Wirtschafts- und Steuerpolitik haben. Unter Moderatoren und in ihren Redaktionen ist dieser Mangel noch ausgeprägter. Was es da braucht, deutete die ehemalige Politikerin und heutige Funktionärin Hildegard Müller an, als sie Weidel bei Miosga mehrmals mit tiefem Sachwissen aus der Realität der Autobranche konfrontierte, Weidel auch bei einer Zahl korrigierte und gegen Ende der Sendung zusammenfassend sagte: "Bei den Dingen, die sie kritisieren, mögen Sie richtige Punkte antippen, aber ihre Vorschläge und Forderungen bringen keine Lösungen, die den Menschen in diesem Land helfen."


An diesem Abend bei Miosga war auch erneut zu sehen, wie Alice Weidel auf Journalisten blickt. Eigentlich gibt es zwischen Politikern und Journalisten ein paar Konventionen. Beide Seiten müssen sich nicht mögen, aber sie wissen, dass die einen kritisch fragen und die anderen ausweichen oder sich erklären. Und trotz der unterschiedlichen Rollen (und Meinungen) gehen beide Seiten respektvoll miteinander um. Weidel ist augenscheinlich davon überzeugt, dass ihr diese Fairness bei ARD und ZDF nie entgegengebracht wird. Das sagt sie immer wieder – und gelegentlich konnten auch Zuschauer diesen Eindruck gewinnen, beispielsweise im Sommerinterview 2023 mit Markus Preiß in der ARD. Zugleich weiß sich Weidel mit ihrer Kernklientel hier einig: Nirgendwo ist die Ablehnung gerade des öffentlich-rechtlichen Rundfunks größer als in der AfD-Wählerschaft.


"Quark"

Weidel bricht inzwischen bewusst mit den Konventionen und verbirgt diese Verachtung für viele Journalisten nicht, sie setzt sie vielmehr offensiv ein und spricht mit den Journalisten, als seien diese unprofessionell und schwer von Begriff. Weidel zu Miosga: "Weil Sie nicht wissen, worum es geht" und "Sie kommen mir hier mit diesem ganzen Quark um die Ecke". Weidel zu Wellmer: "Haben Sie das verstanden?" Und: "Sie müssen unsere Sachen lesen, bevor Sie mich fragen … dann haben Sie auch einen Sachstand." Weidel zu Sievers: "Ich möchte Ihnen noch etwas erklären. Wissen Sie eigentlich …?" Ihr liebstes Wort für unliebsame Journalisten ist "unseriös". So gerät ein Interview mit Weidel immer wieder zum rhetorischen Frontalzusammenstoß, bei dem es nur noch darum geht, wer das letzte Wort hat.


Es dauert auch nie lange, bis in einem Interview sichtbar Wut in der AfD-Politikerin aufsteigt. Dann wird Weidel unruhig, kann sich oft nur schwer beherrschen, sie wirft den Kopf zurück und ihre Finger machen sich selbständig, sie knetet sie, verschränkt sie, die Fingerspitzen immer in Bewegung. Wenn dann auch noch eine Journalistin wie Jessy Wellmer eine Frage an sie stellt, werden Weidels Augen groß, sie zeigt ihre Zähne, und nur gelegentlich ist es ein überlegendes Lächeln. Gerade in dem Austausch mit Wellmer erinnerte es eher an aggressives Zähne zeigen.


In der ersten halben Stunde bei Caren Miosga hielt Weidel ihre Rolle als Staatsschauspielerin durch, aber sobald es um Weidels Verständnis der deutschen Geschichte ging und später um die Wirtschaftspolitik, da konnte man alle Anzeichen ihrer Weidel-Wut wieder beobachten. Die AfD-Kanzlerkandidatin presste, je länger die Sendung dauerte, ihre Sätze in rascherer Abfolge heraus, wobei sie die zweite Hälfte ihrer Argumente oft abhackte oder unter dem nächsten Gedanken begrub. Ließ sich diese Wut vor zwei Jahren aber noch als Schwäche lesen, Weidel wirkte damals vor allem unsortiert, scheint die Politikerin sie inzwischen selbstbewusst einzusetzen. Sie lässt der Wut freieren Lauf, und so entsteht der Eindruck: Da spricht eine Frau, die wahnsinnig viel, durchaus aggressive Energie hat. Sie verkörpert dadurch auch die Wut ihrer Wählerinnen und Wähler – und trägt sie jedem Zuschauer ins Haus.


Damit schließt sich der Kreis. Wirtschaftskrise und Haushaltskrise passen in diesem Wahlkampf zum sachpolitischen Profil von Alice Weidel, und ergänzt durch ihre neue Pose als Staatsschauspielerin gelingt es ihr derzeit vergleichsweise oft, eine Interviewsituation im Fernsehen zu kontrollieren. Wird es für sie doch einmal eng, dann hat sie immer noch die Wut-Weidel in der Hinterhand – oder anders gesagt die Eskalationsdominanz.