Wenn ich dann mir das Ganze weiter überlege, scheint es aber so zu sein, dass eher der immer wieder von AFD Seite geäußerte Vorwurf besteht, dass allein die Fragestellungen der (linken, kritischen) Medien das Publikum so weit manipuliert, dass die AFD als rechtsradikal wahrgenommen werden soll.
In meinen Recherchen über ihr Kommunikationsverhalten (auch während der Sendung) bin ich dann auf einen interessanten Artikel bei Zeit-online gestoßen:
Sie
probiert die Staatsschauspielerin
Alice
Weidel war Gast in der Talkshow von Caren Miosga. Kondensiert sah
man, welche Rollen die AfD-Kanzlerkandidatin öffentlich darbietet.
Ein rhetorisches Lehrstück
Auch
wer sich wünscht, sie wäre unsichtbar, einfach nicht da: In diesen
Tagen führt kein Weg an Alice
Weidel vorbei.
Am Sonntagabend war sie zu Gast in der ARD-Talkshow von Caren Miosga,
und jeder Zuschauer konnte sehen: Die AfD-Spitzenkandidatin hat ihre
Selbstinszenierung weiterentwickelt, sie beherrschte zwischenzeitlich
das Gespräch, sie hat Momentum. Es ist also höchste Zeit, sich ihre
rhetorischen Muster und Tricks noch einmal genauer anzuschauen.
Decoding
Weidel,
darum geht es.
Die
Themen des Abends bei Caren
Miosga:
die vergangene Woche im Bundestag, Weidels Geschichtsbild, die
Wirtschafts-, die Energie- und die Außenpolitik. Weidel sagte über
die Zustimmung der AfD
zu
dem Entschließungsantrag und dem Gesetzentwurf der Union zur
Migrationspolitik im Parlament wenige Tage später nun bei Miosga
unter anderem: "Die Stimmen der AfD gestalten dieses Land."
Aber ein echter Wechsel sei nur mit ihrer Partei möglich, auf die
Union "kein Verlass".
Darüber
hinaus hat Weidel an diesem Abend im Großen und Ganzen das gesagt,
was Zuhörer und Zuhörerinnen vom aktuellen AfD-Parteitag im Januar
oder aus früheren Interviews mit ihr kennen. Aber wie sie es gesagt
hat, das war in der ersten Hälfte der Sendung überraschend, auch
weitgehend ungesehen, manche würden sagen: unerhört. Und in der
zweiten Hälfte waren einige rhetorische Muster zu beobachten, die
Weidel seit Langem zu einer so schwierigen Gesprächspartnerin für
Journalistinnen und Journalisten machen.
Ein
für sie neuer Gestus
Weidel
zeigte sich zunächst in ihrer neuesten Rolle: in der der
Staatsschauspielerin. Diese hat sie besonders prominent am
vorangegangenen Mittwoch im
Bundestag vorgeführt,
als es um den Entschließungsantrag der Union ging, dem die Stimmen
der AfD-Fraktion schließlich zur Mehrheit verhalfen. Weidel hat im
Bundestag eine im Ton (aber wirklich nur im Ton) geradezu
staatstragende Rede gehalten. Sie bemühte sich dabei sichtlich, an
eine bundesrepublikanische Vorstellung davon anzuknüpfen, was eine
Staatsschauspielerin ausmacht, was einen Politiker ausmacht, der den
Staat repräsentieren könnte, mit dem sich Staat machen ließe.
Kennzeichnend dafür ist eine emotionale Ausnüchterung, die sich als
eine historische Entwicklung von Franz-Josef Strauß zu Angela
Merkel, von Herbert Wehner zu Olaf Scholz beschreiben lässt: Im
Gegensatz zu früheren Generationen treten Politikerinnen und
Politiker von heute im Ton gemäßigter auf, als personifizierte
politische Vernunft mit menschlichem Antlitz. Diesen für sie neuen
Gestus hat Weidel am vergangenen Mittwoch im Bundestag vorgeführt –
und in der Sendung von Caren Miosga zunächst nahtlos daran
angeknüpft. Es gehe ihr "nicht um Parteien, sondern um das
Land", sagte Weidel. Und: "Sobald die Politik für unser
Land in die richtige Richtung weist, kann man sich auf uns
verlassen."
Die
AfD-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl am 23. Februar trat
zuletzt zunehmend so auf, als könne sie morgen in eine Koalition
eintreten, als würde sie sich den Konventionen des politischen
Betriebs beugen. Weidel wirkt so wie eine Politikerin, die wegen
ihrer politischen Überzeugungen angreifbar bleibt, aber kein Paria
mehr der Form nach ist. Sie arbeitet rein äußerlich an ihrer und
der Wählbarkeit der AfD. Inhaltlich kann Weidel diese Rolle jedoch
nicht allzu lange durchhalten, will sie offenbar auch nicht.
Sie
sprach bei Miosga verächtlich über den polnischen
Ministerpräsidenten Donald Tusk ("Er ist links, und
dementsprechend sagt das doch eigentlich alles") und nannte ihre
politischen Gegner vor ein paar Tagen im Bundestag
"extremistische
Fanatiker der schrankenlosen Migration" und
"Industriezerstörer". Zwischendurch beleidigte sie den
Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten
Frei, noch als "infantil".
Weidel
verrutschten sowohl im Bundestag wie bei Miosga auch ein paar
Mikrogesten, sie überzog bei den pathetischen Pausen und nutzte
abgegriffene Aufzählungen ("jeden Tag, jede Woche, jeden
Monat", sagte sie bei ihrer Bundestagsrede). Sie zwang ihr Kinn
seltsam weit nach unten, wenn sie Gravitas herstellen wollte. Mit
Mühe unterdrückte sie hier und da ein siegesgewisses Lächeln. Aber
viel, das gehört zur Wahrheit, viel fehlte nicht zu einer in der
Form ziemlich gelungenen Inszenierung als Staatsschauspielerin.
Im
aktuellen Wahlkampf wirkt Alice Weidel noch aus einem anderen Grund
stärker als zuvor. Bevor Fragen zur Migrationspolitik ins Zentrum
der politischen Debatten rückten, lief der Wahlkampf auf einen über
die Wirtschafts- und Finanzpolitik hinaus. Weidel fühlt sich in
diesen Themen augenscheinlich wohl und referiert gern in flüssigem
Unternehmerberaterinnen-Jargon ("kameralistische
Haushaltsführung", "Cashflow", "impliziten
Staatsschulden", Verpflichtungen "abgezinst in die
Gegenwart"). Ihre jüngsten Interviews in ARD
und
ZDF waren in dieser Hinsicht schon bemerkenswert: Weidel in den
tagesthemen
mit
Jessy
Wellmer, in
den heute-Nachrichten
mit Christian
Sievers und
in der ARD-Talkshow von Sandra
Maischberger.
Aber
bei Miosga setzte Weidel noch eins drauf und antwortet auf die Frage,
warum sie zur D-Mark zurückwolle, in perfektem
Wirtschaftskauderwelsch: "Der Euro wird nicht Bestand haben. Er
ist aufgespannt über mehrere Volkswirtschaften und eine
hochinflationäre Währung, weil wir eine gigantische
Bilanzausweitung der EZB (Europäische
Zentralbank, Anmerkung des Autors) haben,
und was wir in den Targetsalden drinhaben, das ist unser Wohlstand,
der verloren geht." Alles klar?
Weidel
versucht gar nicht, diese Begriffe für das Publikum zu übersetzen,
sondern setzt den Jargon ein, um Journalisten, die sie interviewen,
dumm aussehen zu lassen. In der Sendung von Caren
Miosga probierte
sie es sogar gleich mit drei Gesprächspartnern, denn mit am Tisch
saßen Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der Welt,
und
die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Hildegard
Müller. Weidel: "Das versteht doch nicht jeder. Das ist auch
völlig egal." Weidel inszeniert sich hier als Expertin, die in
der längsten Wirtschaftskrise der vergangenen 20 Jahre in
Deutschland über das nötige Wissen verfüge. Aber weiß sie
wirklich, wovon sie spricht (siehe EZB)? Versteht sie die
Konsequenzen ihrer Forderungen in aller Tiefe (zurück zur D-Mark)?
Bisher
wurde Alice Weidel in keinem Fernsehinterview in wirtschafts- und
finanzpolitischen Fragen so sehr herausgefordert, dass sie an ihre
Grenzen gestoßen wäre, denn ARD und ZDF
beschäftigen
nur wenige Journalisten, die tiefe Kenntnis von Wirtschafts- und
Steuerpolitik haben. Unter Moderatoren und in ihren Redaktionen ist
dieser Mangel noch ausgeprägter. Was es da braucht, deutete die
ehemalige Politikerin und heutige Funktionärin Hildegard Müller an,
als sie Weidel bei Miosga mehrmals mit tiefem Sachwissen aus der
Realität der Autobranche konfrontierte, Weidel auch bei einer Zahl
korrigierte und gegen Ende der Sendung zusammenfassend sagte: "Bei
den Dingen, die sie kritisieren, mögen Sie richtige Punkte antippen,
aber ihre Vorschläge und Forderungen bringen keine Lösungen, die
den Menschen in diesem Land helfen."
An
diesem Abend bei Miosga war auch erneut zu sehen, wie Alice Weidel
auf Journalisten blickt. Eigentlich gibt es zwischen Politikern und
Journalisten ein paar Konventionen. Beide Seiten müssen sich nicht
mögen, aber sie wissen, dass die einen kritisch fragen und die
anderen ausweichen oder sich erklären. Und trotz der
unterschiedlichen Rollen (und Meinungen) gehen beide Seiten
respektvoll miteinander um. Weidel ist augenscheinlich davon
überzeugt, dass ihr diese Fairness bei ARD und ZDF nie
entgegengebracht wird. Das sagt sie immer wieder – und gelegentlich
konnten auch Zuschauer diesen Eindruck gewinnen, beispielsweise im
Sommerinterview 2023 mit Markus Preiß in der ARD. Zugleich weiß
sich Weidel mit ihrer Kernklientel hier einig: Nirgendwo ist die
Ablehnung gerade des öffentlich-rechtlichen Rundfunks größer als
in der AfD-Wählerschaft.
"Quark"
Weidel
bricht inzwischen bewusst mit den Konventionen und verbirgt diese
Verachtung für viele Journalisten nicht, sie setzt sie vielmehr
offensiv ein und spricht mit den Journalisten, als seien diese
unprofessionell und schwer von Begriff. Weidel zu Miosga: "Weil
Sie nicht wissen, worum es geht" und "Sie kommen mir hier
mit diesem ganzen Quark um die Ecke". Weidel zu Wellmer: "Haben
Sie das verstanden?" Und: "Sie müssen unsere Sachen lesen,
bevor Sie mich fragen … dann haben Sie auch einen Sachstand."
Weidel zu Sievers: "Ich möchte Ihnen noch etwas erklären.
Wissen Sie eigentlich …?" Ihr liebstes Wort für unliebsame
Journalisten ist "unseriös". So gerät ein Interview mit
Weidel immer wieder zum rhetorischen Frontalzusammenstoß, bei dem es
nur noch darum geht, wer das letzte Wort hat.
Es
dauert auch nie lange, bis in einem Interview sichtbar Wut in der
AfD-Politikerin aufsteigt. Dann wird Weidel unruhig, kann sich oft
nur schwer beherrschen, sie wirft den Kopf zurück und ihre Finger
machen sich selbständig, sie knetet sie, verschränkt sie, die
Fingerspitzen immer in Bewegung. Wenn dann auch noch eine
Journalistin wie Jessy Wellmer eine Frage an sie stellt, werden
Weidels Augen groß, sie zeigt ihre Zähne, und nur gelegentlich ist
es ein überlegendes Lächeln. Gerade in dem Austausch mit Wellmer
erinnerte es eher an aggressives Zähne zeigen.
In
der ersten halben Stunde bei Caren
Miosga
hielt
Weidel ihre Rolle als Staatsschauspielerin durch, aber sobald es um
Weidels Verständnis der deutschen Geschichte ging und später um die
Wirtschaftspolitik, da konnte man alle Anzeichen ihrer Weidel-Wut
wieder beobachten. Die AfD-Kanzlerkandidatin presste, je länger die
Sendung dauerte, ihre Sätze in rascherer Abfolge heraus, wobei sie
die zweite Hälfte ihrer Argumente oft abhackte oder unter dem
nächsten Gedanken begrub. Ließ sich diese Wut vor zwei Jahren aber
noch als Schwäche lesen, Weidel wirkte damals vor allem unsortiert,
scheint die Politikerin sie inzwischen selbstbewusst einzusetzen. Sie
lässt der Wut freieren Lauf, und so entsteht der Eindruck: Da
spricht eine Frau, die wahnsinnig viel, durchaus aggressive Energie
hat. Sie verkörpert dadurch auch die Wut ihrer Wählerinnen und
Wähler – und trägt sie jedem Zuschauer ins Haus.
Damit
schließt sich der Kreis. Wirtschaftskrise und Haushaltskrise passen
in diesem Wahlkampf
zum
sachpolitischen Profil von Alice Weidel, und ergänzt durch ihre neue
Pose als Staatsschauspielerin gelingt es ihr derzeit vergleichsweise
oft, eine Interviewsituation im Fernsehen zu kontrollieren. Wird es
für sie doch einmal eng, dann hat sie immer noch die Wut-Weidel in
der Hinterhand – oder anders gesagt die Eskalationsdominanz.