Dies ist die These von Rudger Bregman in seinem Buch " Im Grunde gut" (2020)
2017 warf er den Superreichen beim Weltwirtschaftsforum in Davosauf einem Panel vor, nicht genug Steuern zu zahlen. »Wir müssen über Steuern sprechen«, rief er den Zuhörenden zu. Er fühle sich, als wäre er auf einer Fachmesse für Feuerwehrleute, auf der niemand über Wasser sprechen dürfe.
Jemand postete den Satz auf Twitter und schon bald interessierte sich die ganze Welt für Bregman. Die britische Tageszeitung Guardian nannte ihn den »niederländischen Historiker, der die Davoser Elite bloßgestellt hat«. In einem Interview mit dem US-Fernsehsender Fox News warf er dem Moderator Tucker Carlson vor, ein Millionär zu sein, der von Milliardären bezahlt wird, woraufhin Carlson ihn beschimpfte (»Why don’t you go fuck yourself?«), und sich weigerte, das Interview zu veröffentlichen.
Zugegeben, Bregmann weiß, wie man politische Aufmerksamkeit erzeugt. Sein Buch „Utopien für Realisten“ aus dem Jahr 2017 machte ihn zusammen mit anderen Veröffentlichungen zu einem intellektuellen Superstar. Dabei gelang es ihm, Ideen wie das Grundeinkommen, Fortschrittstheorie oder Ungleichheit wieder in die öffentliche Diskussion zu bringen.
Auch sein neues Buch „Im Grunde gut“ erregt die Gemüter. Wie schon in seiner letzten Veröffentlichung, fordert Bregman dazu auf, den Menschen auf radikale Weise neu zu betrachten und sein Verhalten zu ändern. Bregmans zentrale These ist, dass der Mensch im Grunde gut ist und das Verlangen habe, Gutes zu tun. Das hätten die Menschen allerdings verdrängt, weil die Philosophie der vergangenen Jahrhunderte ihnen das Gegenteil einredet, nämlich dass der Mensch von Natur aus böse sei.
Die menschliche Liebenswürdigkeit habe evolutionäre Ursprünge, so Bregman. Der Homo sapiens habe seine Konkurrenten nicht mit Blutdurst besiegt, sondern durch seine Fähigkeit zu kooperieren. Bregmans Theorie sieht den Menschen nicht als Wolf sondern als Welpen. Der Mensch sei netter als alle anderen Primaten. Er sei angetrieben von dem Wunsch, mit Freunden und Familie Zeit zu verbringen.
All das führt zu der Frage, die schon der Philosoph Epikur stellte: Unde malum? – Woher kommt das Böse? Um dem zu begegnen, führt Bergman das Konzept des »Nocebo« ein – eine Art umgedrehtes Placebo. Wir leiden an einer eingebildeten Krankheit, die uns überzeugt, dass wir selbst böse sind. Ein Märchen, das unsere Psyche betäubt und unsere Vorstellungskraft einschränkt.
In der Zeit wurde das noch näher ausgeführt:
Es sei nicht die Zivilisation oder die Angst vor dem Gefängnis, die uns davon abhält, einander zu betrügen oder aufeinander loszugehen, sagt Rutger Bregman. Es sei die menschliche Natur. Tief in uns drinnen seien wir kooperativ, freundlich, liebevoll, altruistisch, kurzum: gut.
Bregmans neues Buch “Im Grunde Gut“ will vor allem eines: eine Theorie widerlegen, die unser aller Leben prägt, die sogenannte Fassadentheorie. Sie besagt, dass der Mensch im Naturzustand egoistisch und gewalttätig ist, alle gegen alle, Totschlag und Betrug. Das Leben im Naturzustand, schrieb Thomas Hobbes, einer der bekanntesten Verfechter der Theorie, sei "nasty, brutish and short", garstig, brutal und kurz. Nur Gesetze, die Androhung von Strafen und ein disziplinierender Staat ermöglichten, dass wir friedlich zusammenleben können. Die Zivilisation sei eine dünne Schutzschicht über der explosiven und barbarischen menschlichen Natur und sie könne jederzeit reißen.
Überhaupt: Gibt es die menschliche Natur, und wie genau können pauschale Aussagen über sie sein? Ist nicht, wer es wie Bregman versucht, immer zum Scheitern verurteilt?
Zumindest hat Bregman sehr genau nachgeforscht. Fünf Jahre habe er an dem Buch gearbeitet. Und zumindest machen die Erkenntnisse, die er zusammengetragen hat, eines sehr klar: Der Mensch ist ganz anders, als er in „Der Herr derFliegen“ erscheint und als Thomas Hobbes ihn sah. Die vergangenen 20 Jahre Wissenschaft – ob nun Sozialpsychologie, Archäologie, Geschichte oder Evolutionsbiologie – zeigten das, sagt Bregman. "Das Buch lag in der Luft. Ich musste nur die Punkte verbinden."
Menschen sind eben nicht nur gut, sie sind auch autoritär, sadistisch, hasserfüllt und rassistisch. Man muss zu Bregmans Verteidigung betonen, dass er nicht so naiv ist zu glauben, dass Menschen immer nur Gutes tun. Bregman geht es um etwas anderes. Darum, zu verstehen, wie der Mensch im Naturzustand wäre. Sein Ergebnis: ganz, ganz anders, als Hobbes es sich vorstellte.
Mit seinem Buch wolle er trotzdem etwas gegen den Zynismus tun, sagt er. Denn wer nur fest genug daran glaube, dass der Mensch von Grund auf verdorben ist, der behandelt seine Mitmenschen auch so, als könnten sie einen jeden Moment verraten. Am Ende wird die Menschenfeindlichkeit zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Ein Interview:
In einer anderen Rezension wird auf die Schnittpunkte zum politischen Anarchismus hingewiesen:
Für seinen historischen Rahmen bedient sich Bregman unter anderem bei Yuval Noah Harari (2015), James C. Scott (2019) und dem bedauerlicherweise kürzlich verstorbenen David Graeber (2012). Die beiden Letzteren sind Anarchisten. Auf wen Bregman sich jedoch nicht bezieht, ist jener Denker, welcher die Theorie der Kooperation für die sozialistische Bewegung ausgearbeitet hat: Peter Kropotkin. Den von ihm maßgeblich geprägten Begriff der Kooperation verwendet Bregman übrigens im Buch nur ein einziges Mal, wobei er in einem Interview (Erhard/Bregman 2020) deutlich macht, dass dieses anthropologische Konzept den Kern seiner Überlegungen darstellt.
Insgesamt hinterließ die Lektüre des Buches bei mir eine gewisse Ratlosigkeit und ein Gefühl von Ohnmacht. Die Beispiele von Bregmann für kooperatives und ethisch gutes Verhalten von Menschen in Katastrophenfällen oder auch Kriegen zeigen menschliche Größe. Auch seine Recherchen zu psychologischen Experimenten, welche die Fähigkeit der "Normalbevölkerung" zur Durchführung von Grausamkeiten beweisen sollten, sind lobenswert: Sie waren manipuliert ... Angeblich wegweisende Aggressionsexperimente (zum Beispiel das Stanford-Prison- oder das Milgram-Experiment) seien manipulativ und belegten höchstens die Wirkkraft autoritärer Suggestionen.
Bregman folgert: Menschen würden gut miteinander auskommen, wenn man sie nur ließe. Sie benötigten dafür soziale Nähe, flache Hierarchien sowie transparente Mitbestimmungsmöglichkeiten.
Andererseits: Bereits Ende des 19.Jahrhunderts schrieb der britische Historiker Lord Acton die berühmten Worte: «Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut.» Inzwischen gibt es nur wenige Thesen, bei denen sich Psychologen, Soziologen und Historiker so einig sind.
Sein Rat keine Nachrichten mehr zu konsumieren wird ja von immer mehr Teilen der Bevölkerung befolgt. Das kann einen ja auch permanent runterziehen - und bei mir führt das teilweise zu Schlaflosigkeit ...
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